Berliner Tageszeitung - Karlsruhe verhandelt über Rechte von Verfassungsschutz in Bayern

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Karlsruhe verhandelt über Rechte von Verfassungsschutz in Bayern




Karlsruhe verhandelt über Rechte von Verfassungsschutz in Bayern
Karlsruhe verhandelt über Rechte von Verfassungsschutz in Bayern / Foto: © AFP

Zwischen zwei "zentralen Ideen des Grundgesetzes", dem Schutz von individuellen Freiheitsrechten und der wehrhaften Demokratie muss das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe aktuell abwägen. So formulierte es Gerichtspräsident Stephan Harbarth zu Beginn der mündlichen Verhandlung über das bayerische Verfassungsschutzgesetz am Dienstag. Es ging um die Befugnisse, die der Verfassungsschutz des Freistaats bei der Überwachung und der Weitergabe von Daten hat. (Az. 1 BvR 1619/17)

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Das Gesetz war 2016 mit der Mehrheit der CSU neu gefasst worden. Dagegen legten drei Mitglieder von Organisationen Verfassungsbeschwerde ein, die im bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnt werden - die also glauben, dass sie überwacht werden könnten. Koordiniert wird die Beschwerde von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Die drei Beschwerdeführer sehen verschiedene Grundrechte verletzt, vor allem ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung, teilweise auch die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Fernmeldegeheimnis.

Die Gesetzesnovelle gibt dem bayerischen Verfassungsschutz unter anderem das Recht, unter bestimmten Voraussetzungen in Gefahrensituationen Wohnungen optisch oder akustisch zu überwachen, Handys zu orten, Computer oder Handys online verdeckt zu untersuchen, verdeckte Mitarbeitende und V-Leute einzusetzen und Menschen über mehr als zwei Tage zu observieren.

Außerdem darf der Geheimdienst in verschiedenen Situationen Daten weiterverarbeiten oder an öffentliche Stellen weitergeben. Auch der Zugriff auf Daten, die durch Vorratsdatenspeicherung gewonnen wurden, ist im Gesetz geregelt - die Vorratsdatenspeicherung ist in Deutschland allerdings momentan ausgesetzt, bis der Europäische Gerichtshof darüber entscheidet.

Der Verfassungsschutz soll Extremisten und Spione beobachten, damit Gefahren abgewehrt werden können. Sowohl der Freistaat Bayern als auch die GFF verwiesen in Karlsruhe auf den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016, um ihre Argumente zu untermauern. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach von einer der Situationen, in denen die Sicherheitsbehörden untereinander zu wenige Informationen ausgetauscht hätten. Er betonte, der Verfassungsschutz unterliege einer "strengen rechtsstaatlichen Kontrolle".

Der GFF-Vorsitzende Ulf Buermeyer wiederum sieht Anschläge wie den vom Breitscheidplatz als mögliche Konsequenz aus dem "Durcheinander" der Zuständigkeiten, durch die alle Stellen nur ein partielles Bild von Gefahren bekämen. Er appellierte an das Gericht, das Trennungsprinzip zwischen Geheimdiensten und Polizei weiterzuentwickeln.

In der Verhandlung ging es am Vormittag um die Voraussetzungen, unter denen der bayerische Verfassungsschutz die verschiedenen Maßnahmen ergreifen kann. So heißt es beispielsweise bei der Wohnraumüberwachung, diese sei bei "tatsächlichen Anhaltspunkten für eine dringende Gefahr" erlaubt, während das Grundgesetz von einer "Abwehr dringender Gefahren" spricht. Zudem wurde diskutiert, ob der Schutz des Kernbereichs - also der Privatsphäre, in die nicht eingegriffen werden darf - in dem bayerischen Gesetz ausreichend geregelt ist und ob die Maßnahmen unabhängig gut genug kontrolliert werden.

Das Gericht verhandelte unter sogenannten 2G-Plus-Plus-Regeln. Das bedeutet, dass alle Anwesenden nicht nur gegen Corona geimpft oder genesen sein, sondern auch einen aktuellen negativen PCR-Test vorlegen mussten. Harbarth begründete dies unter anderem mit institutionellen Gründen: Da der Senat nur beschlussfähig sei, wenn mindestens sechs Mitglieder anwesend seien, könne schon eine "überschaubare Anzahl an Infektionen" die Funktionsfähigkeit des Gerichts beeinträchtigen. Eine Entscheidung wurde für Dienstag noch nicht erwartet.

(O. Larsen--BTZ)