Potsdam: Bund sagt Braunkohleregionen langfristige Strukturhilfen zu
Der Bund hat den vom Kohleausstieg betroffenen Ländern langfristige finanzielle Mittel in erheblichem Ausmaß zugesagt. Einzelheiten wurden nach einem Treffen bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstagabend aber nicht genannt. Umweltorganisationen forderten, ebenso verbindlich müsse ein schneller Kohleausstieg vereinbart werden. Schon bis 2022 müssten ausreichend Kapazitäten vom Netz genommen werden.
Die bei Merkel versammelten Ministerpräsidenten der betroffenen Bundesländer Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Nordrhein-Westfalen erhielten nach BTZ-Informationen die Zusage für ein milliardenschweres Maßnahmengesetz, für neue Arbeitsplätze durch Behörden und Hochschulen, Breitband- und Bahnanbindungen. Bislang hat der Bund 1,5 Milliarden Euro bis 2021 zugesagt; die vom Kohleausstieg betroffenen Länder fordern deutlich mehr: 1,0 bis 1,5 Milliarden Euro pro Jahr über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren.
Nach dem Treffen im Kanzleramt sagte Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff (CDU), der Bund habe langfristige finanzielle Hilfe zugesagt. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) habe erhebliche Mittel über viele Jahre zugesichert. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG (BTZ), in einem aktuellen Interview am Mittwoch, er sei "optimistisch". Einzelheiten wollte er nicht nennen, dies sei so vereinbart worden.
"Wenn wir ambitionierten Klimaschutz wollen, wird das Geld kosten, das ist eine Wahrheit, die liegt auf dem Tisch", sagte Woidke. Es gebe keinen Ausstieg zum Nulltarif. Das Geld "muss man so einsetzen, dass Strukturen entstehen, die nachhaltig sind, die dann wieder helfen, eine Region zu entwickeln, und dann wieder zum Steueraufkommen beitragen".
Die Kohlekommission erarbeitet derzeit einen Fahrplan zum Ausstieg aus der Kohleverstromung. Das Gremium will sich am 25. Januar erneut treffen und die Arbeit bis Anfang Februar abschließen. Haseloff sagte, wenn nötig, werde es am 31. Januar eine Fortsetzung der Gespräche im Kanzleramt geben. Dem Anfang November veröffentlichten Zwischenbericht der Kommission zufolge geht es in den Braunkohlerevieren in der Lausitz, in Mitteldeutschland und im Rheinland um rund 60.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze. In zwei betroffenen Bundesländern wird dieses Jahr gewählt: in Brandenburg und in Sachsen.
Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser, Mitglied der Kohlekommission, erklärte am Mittwoch, es sei "selbstverständlich wichtig, dass der Bund die Länder bei der Modernisierung unserer Energieversorgung unterstützt". Gesellschaftlich akzeptiert werde der Ausstieg aus der Braunkohle aber nur, wenn er schnell umgesetzt werde. Das sei innerhalb der kommenden zwölf Jahre machbar.
Auch der WWF begrüßte, dass "die Blockade bei der Finanzierung des Strukturwandels gelöst" wurde. Nun müsse die Kohlekommission "substanzielle Kraftwerksstilllegungen jeweils Anfang, Mitte und Ende der 2020er Jahre definieren". Germanwatch verlangte, bereits bis 2022 ausreichend Kohlekapazitäten vom Netz zu nehmen - vor allem im Westen. Aber auch ein Einstieg dazu im Osten sei wichtig. Bis 2030 müsse dann ein Großteil der Kapazitäten abgebaut sein.
Haseloff (CDU) schlug vor, zur Finanzierung der Strukturhilfen künftige Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag zu verwenden. "Wir müssen auf jeden Fall den Abbau für 90 Prozent der Steuerzahler wie versprochen umsetzen", sagte er der "Wirtschaftswoche". Was den verbleibenden Rest betreffe, "so wäre die Finanzierung des industriepolitischen Megaprojekts Kohleausstieg und der Energiewende eine einleuchtende und sinnvolle Verwendung dafür".
Haseloff warnte eindringlich vor den Folgen, falls der Strukturwandel nicht finanziell abgefedert werde: "Das ist hier kein Fingerhakeln über dem politischen Stammtisch, es geht um die Stabilität unserer Gesellschaft, um das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates", sagte er. "Ich will keine Gelbwesten wie in Frankreich."
(U. Schmidt--BTZ)