Regelungen zu Wahlrechtsausschluss für Behinderte verfassungswidrig
Die Regelungen zum Wahlrecht für Behinderte müssen geändert werden. Das Bundesverfassungsgericht erklärte in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss den Wahlrechtsausschluss von Menschen, für die ein Betreuer bestellt wurde, für verfassungswidrig. Das Gericht kippte auch den Ausschluss für die wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten Straftäter. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht bereits vor, ein "inklusives Wahlrecht" zu schaffen. (Az. 2 BvC 62/14)
Bei der Bundestagswahl 2013 waren aufgrund der Regelungen mehr als 80.000 Menschen von der Wahl ausgeschlossen. Mehrere Betroffene reichten deshalb eine Wahlprüfungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Das Verfassungsgericht entschied nun, dass einige von ihnen durch den Ausschluss von der Wahl in ihren Rechten verletzt worden seien.
Der Wahlrechtsausschluss von Menschen, für die zur Besorgung aller Angelegenheiten ein Betreuer bestellt wurde, verstoße gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung, erklärten die Verfassungsrichter. Ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht könne zwar verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Doch die Regelung genüge nicht den "Anforderungen an gesetzliche Typisierungen", weil der Kreis der Betroffenen "ohne hinreichenden sachlichen Grund in gleichheitswidriger Weise" bestimmt werde.
Die Verfassungsrichter verwiesen dazu darauf, dass nicht in allen Fällen ein Betreuer bestellt werden muss. Eine Betreuung kann auch durch eine Vorsorgevollmacht oder eine Versorgung in der Familie geregelt sein. In diesem Fall bleibe das Wahlrecht erhalten, stellten die Richter fest. Letztlich sei der Wahlrechtsentzug damit davon abhängig, ob die Bestellung eines Betreuers erfolge oder ob dies nicht erforderlich sei. Dieser "von Zufälligkeiten abhängige Umstand" könne "die wahlrechtliche Ungleichbehandlung gleichermaßen Betreuungsbedürftiger" nicht rechtfertigen.
Das Gericht erklärte auch den Wahlrechtsausschluss für wegen Schuldunfähigkeit in einer psychiatrischen Klinik untergebrachter Straftäter für verfassungswidrig. Die Feststellung einer Schuldunfähigkeit zum Tatzeitpunkt und die Anordnung einer solchen Unterbringung erlaubten nicht den Rückschluss, dass es den Betroffenen regelmäßig an der für das Wahlrecht "erforderlichen Einsichtsfähigkeit" fehle.
Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, begrüßte das Urteil. Er forderte zugleich die Koalitionsfraktionen auf, ihren Vereinbarungen im Koalitionsvertrag "nun umgehend und ohne Wenn und Aber umzusetzen." In dem Abkommen von Union und SPD heißt es: "Unser Ziel ist ein inklusives Wahlrecht für alle". Der Wahlrechtsausschluss von Menschen, "die sich durch eine Vollbetreuung unterstützen lassen", werde beendet.
Die SPD machte den Koalitionspartner für die bislang ausgebliebene Umsetzung verantwortlich. Die Spitze der CDU/CSU-Bundestagsfraktion habe bislang verhindert, dass eine bereits gefundene Einigung der Fachpolitiker zur Änderung des Wahlrechts beschlossen werde, kritisierte die Vizevorsitzende der SPD-Fraktion, Eva Högl.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe zeigte sich erfreut über das Karlsruher Urteil. "Endlich dürfen wirklich alle erwachsenen deutschen Bürgerinnen und Bürger wählen", erklärte die Lebenshilfe-Bundesvorsitzende und SPD-Bundestagsabgeordnete Ulla Schmidt. Die Vereinigung hatte die Beschwerdeführer ebenso wie die Caritas unterstützt. "Ich bin sehr glücklich über die Entscheidung, dass ich jetzt genau wie alle anderen wählen kann", erklärte Margarete Kornhoff als eine der Klägerinnen. "Vorher war es sehr unfair geregelt, das hat mich wütend gemacht."
(Y. Rousseau--BTZ)