Tongaische Theologin und ein Kenianer namens Daehlie: Exoten der Nordischen Weltmeisterschaften
Traditionell finden bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf am Mittwoch noch vor der Eröffnungsfeier Qualifikations-Rennen der kleinen Langlauf-Nationen statt. Wegen der Reisebeschränkungen sind die Felder diesmal nicht ganz so bunt. Anlass genug, einige WM-Exoten der Loipen und Schanzen vergangener Jahre vorzustellen.
ADRIAN SOLANO
Mit 28 Euro Bargeld in der Tasche und nicht existenter Skilanglauf-Praxis machte sich Adrian Solano 2017 aus Venezuela in Richtung WM nach Lahti auf. Die Anreise wurde von fünf Tagen in einer Arrestzelle am Pariser Flughafen unterbrochen, da man ihm unlautere Einwanderungsabsichten unterstellte. Solano musste zurück nach Venezuela, flog erneut los, schaffte es irgendwie doch nach Finnland und legte im Qualifikationsrennen einen Auftritt hin, der ihm auf immer und ewig den Ruf des schlechtesten Skilangläufers der Geschichte einbrachte. Irgendwann verließ er das Rennen weit vor dem Ziel, mit demoliertem Material, venezolanischer Landesflagge und erhobenem Kopf. Als Gewinner.
COSTA CORDALIS
Der 2019 verstorbene Schlagerstar war der wohl prominenteste Langlauf-Exot. Weil ihm das griechische NOK den Olympiastart 1984 in Sarajevo verwehrte, schaffte es Cordalis quasi als Trotzreaktion zur WM 1985 nach Seefeld. Dort wurde er Letzter über 30 km, 50 Minuten hinter Sieger Gunde Svan. "Mörderisch" sei es gewesen, sagte Cordalis damals, verwachst habe er obendrein und sich deshalb im Vergleich mit den Weltbesten gefühlt "wie ein mittelmäßiger Karaokesänger, der sich musikalisch mit mir duellieren will".
PITA TAUFATOFUA
Als Pita Taufatofua Ende 2016 erstmals auf Langlauf-Ski steht, hat der Taekwondo-Kämpfer aus Tonga drei Fragen. "Hält der Helm Kokosnüsse aus?", will der 33-Jährige wissen, "kann ich mit den Stöcken auch Tiere jagen?" und schließlich: "Wie bremse ich eigentlich?". Drei Monate später startet der Exot bei der WM in Lahti und landet in der Qualifikation für den Freistil-Sprint auf dem 152. Rang, aber nicht letzten Rang. Taufatofua schafft es dennoch zu Olympia 2018, wo er wie schon 2016 in Rio als eingeölter Fahnenträger auffällt. Nur bei ein paar Grad weniger.
MAKELETA STEPHAN
Fast unfallfrei hatte die Landsfrau des "Ölringers" Taufatufoa ihr WM-Debüt als Skilangläuferin unfallfrei überstanden, da legte sie sich 2015 im schwedischen Falun doch noch in den Schnee - ausgerechnet vor der prall gefüllten Tribüne. "Ich hätte fast geweint, aber die Leute haben mich so sehr angefeuert", erzählt sie der Welt. Und so lief Stephan ins Ziel zum Happyend einer ganz erstaunlichen Reise: Aus der Südsee hatte es sie nach Baden-Württemberg und zum Theologie-Studium verschlagen, in Pfullendorf entstand Kontakt zu Langlauf-Szene.
PHILIP BOIT
Lange laufen, das passt zu Kenianern. Also wurde Philip Boit Langläufer. Dass er dies auf Skiern betrieb, passte indes nicht ganz ins nationale Bild, was Boit nicht beirrte: 1998 schaffte er es zu Olympia nach Nagano, wurde über 10 km Letzter mit 20 Minuten Rückstand auf Olympiasieger Björn Dählie, der im Ziel auf Boit wartete, um ihm zu gratulieren. Das machte Boit so stolz, dass er seinen Erstgeborenen nach der norwegischen Skilegende benannte. Daehlie Boit ist heute 23 - seinen Namenspaten hat er mehrmals besucht.
KLAUS JUNGBLUTH RODRIGUEZ
Der Mann, dem man den Cosmopoliten schon im Namen anmerkt, kommt aus Ecuador, spricht sechs Sprachen und fand neben Universitätsabschlüssen in Australien, Tschechien und Norwegen noch die Zeit, in seinem Heimatland den nationalen Skiverband zu gründen und als Skilangläufer zum ersten Winter-Olympiastarter Ecuadors zu werden - dessen Fahne er dann 2018 in Pyeongchang auch trug.
ANDREAS RAZAFIMAHATRATRA
Neben dem Mongolen Hurelbaataar Bayarmaa ist Razafimahatratra nicht nur der Vokal-A-Weltrekordler unter den Skilangläufern, sondern seit Seefeld 2019 auch ein echter WM-Teilnehmer. "Was für eine Ehre, hier dabei zu sein. Noch dazu bin ich ja derjenige, der Madagaskar zum ersten Mal in seiner Geschichte in diesem Sport repräsentieren darf", sagte er in Tirol und zeigte damit, wie glücklich auch ein 49. Platz unter 57 Teilnehmern der Qualifikation machen kann.
MICHAEL EDWARDS
Er hatte in einem Kuhstall geschlafen, zahlreiche Knochenbrüche überstanden und vergeblich Sponsoren gesucht. Doch im Februar 1987 hatte es der Brite Michael Edwards tatsächlich zur WM in Oberstdorf geschafft. Erst ein Jahr zuvor hatte "Eddie the Eagle" beschlossen, Skispringer zu werden - weil es in England noch keinen gab. Bei der WM wurde Edwards mit großem Abstand Letzter, flog aber in die Herzen der Fans und qualifizierte sich für Olympia 1988 in Calgary. In Kanada wurde Eddie wieder Letzter, bei der Rückkehr nach Europa warteten dennoch 10.000 Menschen am Flughafen. 2016 wurde sein Leben verfilmt.
FARZANEH REZASOLTANI
Die hohen Temperaturen in Oberstdorf sind für Rezasoltani nichts Neues: Schon bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi trat die iranische Langläuferin unter für diese Sportart fast schon tropischen Bedingungen an. Doch während ihre Kontrahentinnen kurzärmlig liefen und ihre männlichen Kollegen teils lediglich mit ihrem Nummern-Leiberl am Oberkörper bedeckt waren, trug Rezasoltani einen Rock über der langen Laufkluft und ein Kopftuch unter der Mütze. Der Lohn für die erhitzende Mühe: Platz 73 und ein Zieleinlauf unter großem Jubel und mit stolz präsentierter Landesflagge.
LUIS CARRASCO ARENA
Noriaki Kasai? Pfft. Da schmunzelt Senor Carrasco. Gegen den Mexikaner ist Japans Skisprung-Dinosaurier ein frischer Springinsfeld. Als junger Kerl - mit 38 Jahren also - wurde Carrasco Arena 2002 in Salt Lake City Olympia-25. im Skeleton, wechselte dann aufgrund besserer Langzeitperspektive in den Langlauf und war bei der WM 2019 in Seefeld mit 55 der älteste Teilnehmer. "Ich werde weitermachen, bis mich mein Körper oder jemand anderes rauswirft", sagte er.
NICO POLYCHRONIDIS
Eine Schanze gibt es in Griechenland nicht. Auch Schnee fällt am Mittelmeer eher selten. Und doch geht bei der WM 2013 ein griechischer Skispringer vom Balken. Polychronidis hat einen griechischen Vater und eine deutsche Mutter, aufgewachsen ist er im Allgäu. Sein Traum von Olympia bewegt ihn zu einem Abschied vom Deutschen Skiverband. Bei der WM erreicht er den 45. Rang, qualifiziert sich später für die Spiele in Sotschi, übersteht dort aber weder auf der Normalschanze (48.) noch auf der Großschanze (47.) die Qualifikation. "In Griechenland gab es bislang noch nie einen Skispringer. Ich wollte auch das Interesse an meinem Sport wecken", sagt er. Das ist ihm gelungen.
DACHHIRI DAWA SHERPA
Der Wahl-Schweizer ist ein Extremläufer der Spitzenklasse - zumindest ohne Ski: 2003 gewann er die Auflage des Mega-Marathons Ultra-Trail du Mont-Blanc - in gut 20 Stunden für 150 Kilometer. Im Skilanglauf hatte Dawa Sherpa zwar wenig mit Siegen zu tun, verdiente sich aber eine Hartnäckigkeits-Medaille: Erst nach zwei Weltmeisterschaften und drei Olympischen Spielen beendete er 2014 seine Karriere. "Ich bin 44, da ist es schwer mit den jungen Läufern mitzuhalten", sagte er, nachdem er in Sotschi über 15 km 86. und Vorletzter geworden war - immerhin mit elf Minuten Vorsprung auf Schlusslicht Roberto Carcelen aus Peru.
(A. Walsh--BTZ)