Reisewarnung Nicaragua: Mehr als 20 Tote bei Protesten in Managua
Die blutigen Proteste gegen die Rentenreform in Nicaragua haben auch am Wochenende angehalten. Bis Sonntag seien mehr als 20 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften getötet worden, teilten Menschenrechtsaktivisten mit. Begonnen hatten die Proteste am Mittwoch. Eine Rede von Präsident Daniel Ortega heizte die Lage am Wochenende weiter an.
Das Zentrum für Menschenrechte in der Hauptstadt Managua bezifferte die Zahl der Toten bis Sonntag auf "mehr als 20". Die Lage sei "sehr ernst", sagte die Direktorin der Gruppe, Vilma Núñez. Die Behörden hatten zuletzt am Freitag Opferzahlen vorgelegt. Darin war von zehn Toten die Rede.
Unter den Toten war auch ein Journalist. Der Reporter Miguel Ángel Gahona sei in der Nacht zum Samstag in der Stadt Bluefields an der Ostküste Nicaraguas erschossen worden, sagte seine Kollegin Ileana Lacayo dem TV-Sender Canal 15. Offenbar habe ein Scharfschütze der Polizei den Schuss abgegeben. Nur die Polizisten in Bluefields seien bewaffnet gewesen.
Die Demonstrationen richten sich gegen die geplante Rentenreform. Es sind die bislang heftigsten Proteste in Ortegas Amtszeit. Die umstrittene Rentenreform sieht vor, dass die Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern für die Rentenversicherung steigen, zugleich aber die Renten um fünf Prozent gekürzt werden. Damit soll das Defizit in Nicaraguas Sozialsystem verringert werden.
Ortega stellte am Samstag Gespräche über das Reformprojekt in Aussicht, allerdings richtete er sich nur an den Privatsektor und weigerte sich, mit den jungen Demonstranten zu sprechen, was die Wut auf den Straßen weiter anheizte.
In der Hauptstadt Managua lieferten sich Demonstranten nach der Rede des Staatschefs gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei. Sie errichteten Straßenbarrikaden und griffen die Einsatzkräfte mit Steinen an. Die Polizei feuerte Tränengas ab.
Nach heftigen nächtlichen Zusammenstößen waren die Straßen der Hauptstadt am Sonntagmorgen zum Teil mit Geröll bedeckt. Auch in anderen Städten des Landes dauerten die Proteste an.
Der Unternehmerverband lehnte Ortegas Gesprächsangebot ab und verlangte stattdessen ein sofortiges "Ende der polizeilichen Repression". Im Zuge der Proteste gingen die Behörden auch gegen die Medien des Landes vor. Vier unabhängige Fernsehsender, die über die Proteste berichteten, wurden vorübergehend blockiert. Inzwischen konnten drei von ihnen wieder auf Sendung gehen. Journalisten vor Ort wurden nach eigenen Angaben angegriffen und in Gewahrsam genommen.
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte kritisierte, in der Stadt Masaya seien Demonstranten von Regierungsanhängern angegriffen worden. "Wir fordern die nicaraguanischen Behörden auf, weitere Angriffe auf Demonstranten und die Medien zu verhindern", erklärte Sprecherin Liz Throssell. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verurteilte die "gewaltsame" Reaktion der Behörden auf die Demonstrationen. Ortega, der bereits von 1985 bis 1990 in Nicaragua regierte, kehrte 2007 an die Macht zurück. Er macht politische Gruppen, die nach seiner Ansicht aus den USA finanziert werden, für die Ausschreitungen verantwortlich. Ihr Ziel sei es, "Terror und Unsicherheit" in Nicaragua zu verbreiten.
Das Auswärtige Amt in Berlin rief Reisende wegen der Proteste auf, Menschenansammlungen in Nicaragua zu meiden und sich über die Sicherheitslage zu informieren, was einer mehr als deutlichen Reisewarnung gleichkommt.
(K. Berger--BTZ)