London droht Paris im Fischereistreit mit eigenen Vergeltungsmaßnahmen
Großbritannien hat angesichts französischer Drohungen im Fischereistreit mit eigenen Vergeltungsmaßnahmen gegen die EU gedroht. Ein Sprecher der britischen Regierung erklärte am Freitag, London erwäge "strenge Kontrollen der EU-Fischereiaktivitäten in britischen Hoheitsgewässern". Unterdessen kündigte die Downing Street an, dass sich Premierminister Boris Johnson am Rande des G20-Gipfels am Wochenende in Rom "rasch" mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu bilateralen Gesprächen treffen wolle.
Der britische Brexit-Minister David Frost machte den Fischerei-Streit zum Thema bei den Gesprächen über das Nordirland-Protokoll mit dem Vizepräsidenten der EU-Kommission, Maros Sefcovic. Dem Sprecher zufolge beschwerte sich Frost dabei über die "ungerechtfertigten Maßnahmen, die Frankreich Anfang dieser Woche angekündigt hat, um die britische Fischerei und den Handel im Allgemeinen zu stören und die Energieversorgung zu gefährden". Demnach erwägt die britische Regierung, ein "Streitbeilegungsverfahren im Rahmen des Post-Brexit-Handelsabkommens" mit der EU einzuleiten.
Paris und London beschuldigen sich gegenseitig, das Ende letzten Jahres geschlossene Brexit-Handelsabkommen über Fischereilizenzen in britischen Gewässern zu verletzen. Frankreich wirft dem Vereinigten Königreich vor, zu wenige Fanggenehmigungen für französische Schiffe zu erteilen.
Paris drohte bereits für kommenden Dienstag mit Vergeltungsmaßnahmen, etwa der Verschärfung von Kontrollen und einem Verbot für britische Schiffe, Meeresfrüchte in französischen Häfen zu entladen. Es wurde zudem angedeutet, dass die Strompreise für die von der Energieversorgung aus Frankreich abhängige Kanalinsel Jersey erhöht werden könnten.
Frankreichs Europaminister Clement Beaune hatte gesagt, sein Land müsse "die Sprache der Stärke" verwenden, weil "das die einzige Sprache ist, die diese britische Regierung versteht". Die französische Botschafterin in London, Catherine Colonna, war deshalb für Freitagnachmittag zu einem Treffen mit der britischen Europaministerin Wendy Morton einbestellt worden.
Am Mittwoch hatten französische Behörden bereits einen britischen Fischkutter in Le Havre festgesetzt, der ohne ordnungsgemäße Genehmigung Muscheln in französischen Gewässern gefischt haben soll. Die Staatsanwaltschaft von Le Havre teilte mit, der Kapitän werde sich im kommenden August vor Gericht verantworten müssen. Ihm droht demnach eine Geldstrafe von 75.000 Euro. Der schottische Schiffsbetreiber stritt die Vorwürfe ab und sprach von einem "administrativen Missverständnis".
Die Bundesregierung rief derweil beide Länder zum Dialog auf. Der Erhalt gegenseitiger Fischereirechte sei eines der Grundprinzipien des Handelsabkommens zwischen der EU und Großbritannien, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts in Berlin. "Vor diesem Hintergrund ist es aus unserer Sicht nun wichtig, dass beide Seiten wieder zu den Verhandlungen der zurückliegenden Wochen und Monate zurückkehren."
Die Gespräche mit der EU zum Nordirland-Protokoll bezeichnete London unterdessen als "konstruktiv". Es bestünden jedoch weiterhin "bedeutende" Differenzen, unter anderem über die Rolle des Europäischen Gerichtshofs bei der Beilegung von Streitigkeiten. Die Gespräche sollen nächste Woche in Brüssel fortgesetzt werden.
Das Nordirland-Protokoll ist einer der strittigsten Punkte in den Post-Brexit-Beziehungen zwischen Brüssel und London. Die Regelungen sehen vor, dass zwischen dem Landesteil des Vereinigten Königreichs und dem EU-Mitglied Irland keine Zollkontrollen vorgenommen werden. Stattdessen soll zwischen Großbritannien und Nordirland kontrolliert werden. Zollkontrollen an der Landgrenze zwischen Nordirland und der Republik Irland würden nach allgemeiner Auffassung das Karfreitagsabkommen von 1998 gefährden, das den jahrzehntelangen Nordirland-Konflikt beendet hatte.
Kritiker des Nordirland-Protokolls sind jedoch der Auffassung, dass durch die Regelungen eine De-Facto-Grenze innerhalb des Vereinigten Königreichs entsteht und die Versorgung Nordirlands leidet.
(L. Brown--BTZ)