Trudeau verlangt Aufklärung von Schicksal indigener Kinder in Kanada
Nach der Entdeckung der sterblichen Überreste von 215 Kindern kanadischer Ureinwohner in einem früheren katholischen Internat wächst der Druck auf die Kirche. Sie müsse "Verantwortung übernehmen", forderte der kanadische Regierungschef Justin Trudeau am Freitag. Notfalls werde seine Regierung auf die Herausgabe der Dokumente klagen. UN-Menschenrechtsexperten forderten die Regierung in Ottawa und den Vatikan auf, alles zur Aufklärung der Hintergründe zu unternehmen.
"Als Katholik bin ich zutiefst enttäuscht von der Position, die die katholische Kirche jetzt und in den vergangenen Jahren eingenommen hat," sagte Trudeau vor Journalisten. Wenn nötig, werde seine Regierung "stärkere Maßnahmen" ergreifen, um die von den Opferfamilien geforderte Herausgabe von Dokumenten zu erzwingen. Er sei aber "sehr zuversichtlich, dass die religiösen Führer verstehen werden, dass dies etwas ist, an dem sie sich beteiligen müssen".
In Kanada waren ab 1874 rund 150.000 Kinder von Ureinwohnern und gemischten Paaren von ihren Familien und ihrer Kultur getrennt und in kirchliche Heime gesteckt worden, um sie so zur Anpassung an die weiße Mehrheitsgesellschaft zu zwingen. Viele von ihnen wurden in den Heimen misshandelt oder sexuell missbraucht. Nach bisherigen Angaben starben mindestens 3200 dieser Kinder, die meisten an Tuberkulose.
Die Entdeckung der Kinderleichen auf dem Gelände des ehemaligen Internats nahe der Kleinstadt Kamloops hatte vergangene Woche ein Schlaglicht auf das düstere Kapitel geworfen und landesweit für Erschütterung gesorgt.
Der Tod der Kinder wurde nach Angaben der indigenen Gemeinschaft Tkemlups te Secwepemc von der damaligen Schulleitung nie dokumentiert. "Wir wollen eine Entschuldigung" von der Kirche, sagte Rosanne Casimir am Freitag, "eine öffentliche Entschuldigung, nicht nur für uns, sondern für die Welt".
Die Regierung in Ottawa und die katholische Kirche müssten untersuchen, wer die kleinen Opfer gewesen seien, unter welchen Umständen sie gestorben seien und wer dafür verantwortlich gewesen sei, erklärte ein Gremium aus neun UN-Menschenrechtsexperten am Freitag.
Zudem forderten sie ähnliche Untersuchungen in allen anderen ehemaligen Internaten in Kanada, in denen Kinder aus indigenen Familien zwangsweise in die Gesellschaft der europäischen Einwanderer integriert werden sollten. Zu den Experten gehören unter anderem die UN-Sonderberichterstatter für die Rechte indigener Völker, über die sexuelle Ausbeutung von Kindern sowie der Vorsitzende der Arbeitsgruppe gegen das Verschwindenlassen von Menschen.
Die Justiz müsse zu allen "verdächtigen Todesfällen und Anschuldigungen von Folter und sexueller Gewalt" gegen die dort untergebrachten Kinder strafrechtliche Ermittlungen einleiten, erklärten sie. Die damaligen Täter sowie die Vertuscher, die möglicherweise noch am Leben seien, müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Die Kirche müsse ihrerseits vollen Zugang zu den Archiven der Internatsschulen gewähren und ebenfalls eigene Ermittlungen anstellen.
(F. Dumont--BTZ)