Merkel fordert auch von EU in Gesprächen mit Großbritannien Kompromisse
Vor dem EU-Gipfeltreffen hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in den Verhandlungen mit Großbritannien über ein Handelsabkommen von allen Seiten Kompromissbereitschaft verlangt. "Wir müssen auch den Realitäten ins Auge sehen", sagte Merkel am Dienstag. Ein Abkommen müsse "im beiderseitigen Interesse liegen" und damit auch im britischen. Der britische Premierminister Boris Johnson kündigte für Mittwoch ein erneutes Gespräch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an.
"Wir wollen ein Abkommen", sagte Merkel im Europäischen Ausschuss der Regionen per Video-Schaltung. Die EU werde insbesondere Irland "nicht alleine lassen". Es sei aber ein Ausgleich zwischen beiden Seiten nötig. Die EU müsse sich gleichzeitig "leider auch auf den Fall vorbereiten, dass kein Abkommen zustandekommt".
Großbritannien war zum 1. Februar aus der EU ausgetreten. Bis Ende des Jahres bleibt es aber noch im EU-Binnenmarkt und der Zollunion. Diese Zeit wollten beide Seiten eigentlich nutzen, um ein Handelsabkommen auszuhandeln.
Doch die Gespräche kommen seit Monaten kaum voran. Hauptstreitpunkte sind faire Wettbewerbsbedingungen, die Kontrolle eines künftigen Abkommens und die insbesondere Ländern wie Frankreich wichtigen Fischereirechte in britischen Gewässern.
Die EU-Staats- und Regierungschefs beraten bei ihrem Gipfeltreffen am Donnerstag und Freitag darüber, wie sie den Stand der Gespräche mit London bewerten und wie lange eine Fortsetzung der Verhandlungen noch sinnvoll ist. Um das Treffen vorzubreiten, tagten am Dienstag die Europaminister in Luxemburg.
Die Verhandlungen seien "in einer sehr kritischen Phase", sagte danach Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD), der das Treffen als Vertreter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft leitete. "Wir werden in den nächsten Tagen sehen, ob ein positives Ergebnis erreicht werden kann oder ob wir unsere Vorbereitungen auf ein Szenario ohne Abkommen intensivieren müssen."
Roth betonte, die Verhandlungen müssten spätestens Ende Oktober oder Anfang November abgeschlossen sein, damit ein Abkommen noch ratifiziert werden könne. Er wies Versuche Großbritanniens zurück, durch Gespräche mit einzelnen EU-Regierungen "die Verhandlungen zu bilaterisieren". Auch Deutschland als Ratspräsidentschaft betreibe hier "keine Neben-Diplomatie", sagte Roth.
Frankreichs Europa-Staatssekretär Clément Beaune sagte zum Auftakt der Gespräche in Luxemburg, er wolle seine Kollegen an die Notwendigkeit einer "sehr geeinten Position" der 27 Mitgliedstaaten erinnern. Er nannte Fischerei an erster Stelle der für Frankreich wichtigen Themen.
Die künftigen Fangrechte für EU-Fischer in britischen Gewässern betreffen nur acht der 27 Mitgliedstaaten. Laut EU-Kommission hat der Bereich pro Jahr ein Gesamtvolumen von 635 Millionen Euro. Die Bedeutung im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen ist damit gering. EU-Diplomaten verweisen aber darauf, dass das Thema in Ländern wie Frankreich, Belgien oder Dänemark "eine hochpolitische Frage" sei.
Roth forderte auch bei der Fischereifrage Kompromissbereitschaft von allen Seiten. "Darum geht es bei einem Kompromiss, dass man sich eben aufeinander zubewegt."
(A. Madsen--BTZ)