EU-Finanzgipfel im Schatten von Corona und Veto-Drohungen
Die EU-Staats- und Regierungschefs stehen bei ihrem ersten Gipfel in Brüssel seit Beginn der Corona-Krise vor schwierigen Verhandlungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schloss am Freitag ein Scheitern der Gespräche über das billionenschwere Finanzpaket aus dem Corona-Hilfsfonds und dem nächsten Sieben-Jahreshaushalt der EU nicht aus. EU-Ratspräsident Charles Michel forderte von allen Teilnehmern "politischen Mut", um eine Einigung zu erzielen.
Sie erwarte "sehr, sehr schwere Verhandlungen", sagte Merkel zum Auftakt des bis Samstag geplanten Treffens. Die Unterschiede bei den Positionen der Mitgliedstaaten seien noch sehr groß, und es brauche "wirklich große Kompromissbereitschaft" für eine Einigung. Sie könne deshalb "noch nicht voraussagen (...), ob wir dieses Mal schon zu einem Ergebnis kommen".
Viele Aspekte des insgesamt 1,8 Billionen Euro schweren Finanzpakets sind noch umstritten. Es besteht aus dem 750 Milliarden Euro schweren Fonds zur Überwindung der gravierenden wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise und dem nächsten siebenjährigen EU-Finanzrahmen der EU für die Zeit von 2021 bis 2027.
Nördliche EU-Länder wie die "sparsamen Vier" - aus den Niederlanden, Österreich, Dänemark, Schweden - sowie Finnland verlangen Kürzungen an dem Finanzpaket. Sie wollen zudem Corona-Hilfen nicht als Zuschüsse auszahlen, die von den Empfängerländern insbesondere im Süden Europas nicht zurückgezahlt werden müssen. Sie setzen auf Kredite.
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte unterstrich die Bedeutung von Solidarität in der Krise. Gleichzeitig müsse es aber möglich sein, "von diesen Ländern zu verlangen, alles zu tun, um dies beim nächsten Mal selbst zu lösen" - durch Reformen am Arbeitsmarkt und bei den Renten etwa.
Rutte bewertete die Chancen auf einen Erfolg des Gipfels mit "weniger als 50 Prozent". Auch Österreichs Kanzler Sebastian Kurz schloss nicht aus, dass es ein weiteres Gipfeltreffen geben muss.
"Das ist die schwerste Pandemie der Menschheit seit hundert Jahren", sagte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez. "Wir sind verpflichtet, eine Einigung zu erzielen." Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von einem "Moment der Wahrheit" für Europa.
Tschechien und Polen kritisierten unterdessen, dass Deutschland und die "sparsamen Vier" weiter Rabatte auf ihre Beiträge zum EU-Haushalt bekommen sollen. Dies sei "nicht fair", sagte Tschechiens Regierungschef Andrej Babis. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sagte, die Rabatte seien "ein schlechter Mechanismus", gegen den er sich bei dem Gipfel stellen werde, der über das Finanzpaket einstimmig befinden muss.
Belastet wurde der Gipfel zudem durch einen Streit mit Polen und Ungarn zur Frage, ob EU-Gelder bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit für einzelne Staaten gekürzt werden können. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat deswegen mit einem Veto gegen das gesamte Finanzpaket gedroht. Morawiecki lehnte das Vorhaben zum Gipfelauftakt ebenfalls ab: "Das hat nicht unsere Zustimmung."
Wie Orban forderte Morawiecki auch, dass das Strafverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages gegen sein Land eingestellt wird. Es wurde gegen beide Länder wegen der Untergrabung von EU-Grundwerten eröffnet und kann bis zum Entzug von Stimmrechten auf europäischer Ebene führen.
"Die EU ist kein Bankautomat", sagte EU-Parlamentspräsident David Sassoli mit Blick darauf, dass Ungarn und Polen zu den größten Profiteuren der milliardenschweren EU-Regionalfonds gehören. Sie sei eine Union, die auf Werten basiere, die eingehalten werden müssten.
Alle Staats- und Regierungschefs kamen zu dem Treffen mit Masken, nachdem sie seit März wegen der Pandemie nur Video-Konferenzen abgehalten haben. Die meisten begrüßten sich mit einem Ellenbogen-Check, auch Bundeskanzlerin Merkel nutzte diese Grußform.
Sie bekam zum Auftakt wie Portugals António Costa von vielen Kollegen Geschenke zu ihrem 66. Geburtstag. Frankreichs Präsident Macron überreichte ihr mehrere Flaschen Weißwein.
(M. Taylor--BTZ)