Referendum über neue russische Verfassung begonnen
In Russland hat vorzeitig die Abstimmung über die neue Verfassung begonnen, die Präsident Wladimir Putin zwei weitere Amtszeiten bis zum Jahr 2036 ermöglichen soll. Formeller Termin des umstrittenen Referendums ist zwar erst der 1. Juli, doch wurde die Abstimmung wegen der Corona-Pandemie auf mehrere Tage verteilt. Dadurch soll zu großer Andrang in den Abstimmungslokalen vermieden werden.
Von Wladiwostok ganz im Osten des Landes bis zur Hauptstadt Moskau gaben die ersten Wähler - mit Gesichtsschutz und Handschuhen - ihre Stimmzettel ab. Für die Abstimmung werden 110 Millionen Wahlberechtigten in elf Zeitzonen Masken und Desinfektionsmittel zur Verfügung gestellt. Ursprünglich war der Termin des Referendums für Ende April angesetzt, er wurde jedoch wegen der Corona-Pandemie verschoben.
In St. Petersburg stimmte der 45-jährige Sergej Papow gegen die Reform. "Das ist alles, was ich tun kann, um ein reines Gewissen zu behalten", sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Die 79-jährige Tatjana Chrolenko stimmte ihrerseits für die "notwendigen Änderungen" der Verfassung. Sie unterstütze Putins Vorhaben, "für ein neues Mandat zu kandidieren".
Bisher ermöglicht die russische Verfassung dem Staatsoberhaupt nur zwei Amtszeiten in Folge. Mit Inkrafttreten der neuen Verfassung würden die bisherigen Amtszeiten jedoch nicht mehr gezählt; Putin könnte bei den Präsidentschaftswahlen 2024 und 2030 erneut antreten und damit bis 2036 im Amt bleiben.
Die Opposition wirft dem 67-Jährigen vor, "Präsident auf Lebenszeit" sein zu wollen. Seine erste Amtszeit als Präsident hatte Putin im Jahr 2000 angetreten. Zwischendurch amtierte er vier Jahre als Ministerpräsident, um sich dann 2012 und 2018 erneut zum Staatschef wählen zu lassen. Seine jetzige Amtszeit geht bis 2024.
Und noch weitere zur Abstimmung stehende Verfassungsänderungen würden die bereits mächtige Rolle des Präsidenten stärken: So bekäme das Staatsoberhaupt das Recht der Parlamentsauflösung, wenn ein von ihm nominierter Minister dreimal durch die Abgeordnetenabstimmung fällt. Dem Präsidenten soll außerdem ein größeres Mitspracherecht bei der Arbeit der Judikative zustehen, unter anderem dürfte er Richter entlassen und ernennen.
Die Reform stärkt auch die Rolle des Staatsrats, der gegenwärtig nur mit beratenden Aufgaben betraut ist. Trotz der langen Geschichte Russlands als säkularer Staat soll der "Gottesglauben" in der Verfassung verankert werden. Zudem soll die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau festgeschrieben werden, was homosexuelle Ehen effektiv verbietet.
Mit der Garantie eines Mindestlohns und der Anpassung der Renten an die Inflation will Putin Kritikern zufolge seine Popularität steigern. Wegen der Corona-Krise und einer umstrittenen Rentenreform hatte das Ansehen des Kreml-Chefs in der Bevölkerung zuletzt gelitten. Von Mai 2018 bis Mai 2020 fielen Putins Zustimmungswerte nach Angaben des unabhängigen Levada-Instituts von 79 auf 59 Prozent.
(I. Johansson--BTZ)