
Baku: UN-Mission in mittlerweile fast menschenleerer Region Bergkarabach eingetroffen

Fast zwei Wochen nach dem Großangriff Aserbaidschans auf Bergkarabach ist nach aserbaidschanischen Angaben eine UN-Mission in der mittlerweile nahezu menschenleeren Kaukasusregion eingetroffen. Ein Sprecher der aserbaidschanischen Präsidentschaft sagte der Nachrichtenagentur AFP, dass die UN-Mission am Sonntagmorgen in Bergkarabach angekommen sei. Derweil wies der Präsidentenberater Hikmet Hajijew den von Armenien erhobenen Vorwurf der "ethnischen Säuberung" durch Aserbaidschan erneut nachdrücklich zurück.
Nahezu alle der geschätzt 120.000 armenischen Einwohner haben die Region in den vergangenen Tagen in Richtung Armenien verlassen - aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen Aserbaidschans. Die am Sonntag eingetroffene UN-Mission ist die erste für Bergkarabach seit über 30 Jahren. Die UNO hatte zuvor mitgeteilt, von Baku grünes Licht für die Entsendung einer Mission in das Gebiet an diesem Wochenende erhalten zu haben. Baku zufolge soll sie vor allem den humanitären Bedarf vor Ort einschätzen.
Bergkarabach war zuvor fast ausschließlich von Armeniern bewohnt. Zu den letzten, die die einzige Verbindungsstraße zwischen Armenien und Bergkarabach passierten, gehörte der 40-jährige Sergej Astsarjan. Es sei "nicht richtig, Menschen zu vertreiben", sagte der 40-Jährige der Nachrichtenagentur AFP. Die aserbaidschanische Regierung müsse nun konkret zeigen, dass die armenische Bevölkerung in der Enklave in Sicherheit leben könne und dürfe nicht nur "mündliche Garantien" geben.
Armenien wirft Aserbaidschan eine "ethnische Säuberung" vor. Aserbaidschan weist die Anschuldigungen nachdrücklich zurück. "Wir können den Vorwurf der ethnischen Säuberung oder des Völkermords nicht akzeptieren", sagte der außenpolitische Präsidentenberater Hajijew am Samstag der Nachrichtenagentur AFP.
Es habe "keinen einzigen Fall von Gewalt oder Gräueltaten gegen Zivilisten" gegeben, sagte Hajijew. Vielmehr biete Baku jedem Armenier, der bleiben wolle, ein "Reintegrationsprogramm" an. Laut Baku sind in Bergkarabach aserbaidschanische Streitkräfte stationiert, um insbesondere religiöse Stätten zu schützen.
Armenien hatte für Sonntag einen nationalen Tag des Gebets für Bergkarabach ausgerufen. In den Kirchen des Landes läuteten die Glocken, der amtierende Patriarch der armenischen Kirche leitete einen Gottesdienst in der Hauptkathedrale des Landes in der Stadt Etschmiadsin nahe der Hauptstadt Eriwan.
Bei dem Konflikt in Bergkarabach geht aus Sicht des Gebetsteilnehmers Ararat Hawsejan aber nicht um Religion, sondern "nur um Politik". "Aserbaidschan ist eine Diktatur, hat Öl und Gas und Europa braucht uns nicht", sagte er der AFP.
Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin forderte die Bundesregierung und die EU auf, schärfer gegen Aserbaidschan vorzugehen. Die "Scheuklappenpolitik" von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe den aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew "nur noch ermutigt", erklärte Trittin in der "Rheinischen Post" (Montagsausgabe). "Das war ein großer Fehler."
Vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit werde "ein Exodus einer ethnischen Bevölkerungsgruppe erzwungen". Europa müsse Alijew jetzt klarmachen, dass er "einen hohen Preis" für mögliche weitere Angriffe zahlen werde, etwa mit einem schnellstmöglichen Gasimport-Stopp, betonte Trittin.
Aserbaidschan hatte am 19. September eine großangelegte Militäroffensive in der Region gestartet. Nach ihrer Kapitulation bereits einen Tag später verkündeten die pro-armenischen Kräfte am Donnerstag die Auflösung der selbsternannten Republik. Aserbaidschan vermeldete seitdem zahlreiche Inhaftierungen früherer pro-armenischer Politiker und Beamter. Baku wirft ihnen unter anderem "Terrorismus" vor.
Am Sonntag gab der aserbaidschanische Generalstaatsanwalt Kamran Alijew bekannt, dass er mögliche Kriegsverbrechen von 300 Separatistenführern untersuche. Er rief dazu auf, sie an die aserbaidschanischen Behörden zu übergeben - was die Ängste der Armenier weiter schürt.
Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, es lebten dort bisher aber überwiegend ethnische Armenier. Die Region hatte sich 1991 nach einem Referendum für unabhängig erklärt. Dieses wurde international nicht anerkannt und von der aserbaidschanischen Minderheit boykottiert.
N. Lebedew--BTZ