Tusk: Brexit-Zusicherungen des EU-Gipfels haben "rechtlichen Wert"
Kurz vor dem Votum des britischen Unterhauses über den Brexit-Vertrag hat die EU versucht, Premierministerin Theresa May Rückendeckung zu geben. EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte am Montag in einem gemeinsamen Brief mit Kommissionschef Jean-Claude Juncker, die im Dezember durch den EU-Gipfel erfolgten Zusicherungen zur Nordirland-Frage hätten "einen rechtlichen Wert". Die EU will dem Brief zufolge möglichst vermeiden, dass eine umstrittene Auffanglösung für die Grenze zu Irland überhaupt in Kraft trete.
Inhaltlich gingen Tusk und Juncker nicht über die Gipfel-Zusicherungen vom Dezember hinaus. Diese waren aber bisher als rechtlich unverbindlich gewertet worden, weshalb Mays Gegner vor der Unterhaus-Abstimmung am Dienstagabend auf fehlende verlässliche Zusagen der EU verweisen konnten. Tusk betonte nun, die Gipfel-Schlussfolgerungen verpflichteten die EU "auf ernsthafteste Weise" und seien Teil der Interpretationsgrundlage für den Austrittsvertrag als internationale Vereinbarung.
Die Nordirland-Frage gilt als größtes Problem im Brexit. Nach der Auffanglösung im Austrittsvertrag bliebe das Vereinigte Königreich nach dem Brexit ohne andere Vereinbarung in einer Zollunion mit der EU. Die Brexit-Hardliner in Mays konservativer Partei kritisieren, dass Großbritannien dann auf unabsehbare Zeit an die EU gebunden bliebe und keine eigene Handelspolitik betreiben könne.
Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten im Dezember erklärt, die Auffanglösung für Nordirland solle wenn überhaupt nur "vorübergehend" und "solange wie unbedingt erforderlich" in Kraft bleiben. Sie zeigten sich zudem entschlossen, nach dem Brexit schnell Verhandlungen über ein Abkommen zu den künftigen Beziehungen aufzunehmen, um die Nordirland-Auffanglösung überflüssig zu machen.
Änderungen am Austrittsvertrag lehnten Tusk und Juncker wie schon die Staats- und Regierungschefs im Dezember weiter ab. Juncker betonte in dem Schreiben an May, die Kommission wolle die künftige Partnerschaft nach dem Brexit "so schnell wie möglich" vereinbaren. Die EU bietet dabei ein "Freihandelsgebiet" für Waren ohne Zölle an und will auch in anderen Bereichen weiter eng mit London zusammenarbeiten.
Im britischen Parlament gilt eine Ablehnung des mit der EU ausgehandelten Brexit-Vertrags am Dienstag als sehr wahrscheinlich. May will die Abgeordneten daher am Montag in einer Rede noch einmal eindringlich vor einem Scheitern des Vertrags warnen. "Wir alle haben die Pflicht, das Ergebnis des Referendums umzusetzen", heißt es in der Rede, von der vorab Auszüge veröffentlicht wurden.
May hatte bereits am Sonntag gewarnt, in dem Fall drohe Ende März ein ungeregelter EU-Austritt mit gravierenden Folgen für die Wirtschaft - oder aber kein Brexit. Oppositionsführer Jeremy Corbyn hat bei einer Abstimmungsniederlage Mays bereits ein baldiges Misstrauensvotum angekündigt. Britis he Medien berichteten unter Berufung auf Labour-Abgeordnete, das Misstrauensvotum könne bereits am Mittwoch stattfinden.
Sollte May bei einem Misstrauensvotum durchfallen, hätte das Unterhaus 14 Tage Zeit, eine neue Regierungsmehrheit zustande zu bringen. Andernfalls müsste es Neuwahlen geben. Sollte Labour die Wahl gewinnen, werde der für den 29. März geplante Brexit wegen neuer Verhandlungen mit Brüssel wahrscheinlich verschoben, sagte Oppositionsführer Jeremy Corbyn nach Information von BERLINER TAGESZEITUNG, in einem aktuellen Interview.
(M. Tschebyachkinchoy--BTZ)