
Früherer tunesischer Justizminister Bhiri nach Festnahme im Hungerstreik

Der einflussreiche Ex-Justizminister Noureddine Bhiri ist nach seiner Festnahme in Tunesien in den Hungerstreik getreten und musste in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Der 63-jährige Vizechef der islamistischen Ennahdha-Partei verweigere Essen und Medikamente, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Montag von einem Mitglied einer Delegation, die ihm am Sonntagabend besuchte. Entgegen anderslautenden Berichten schwebe Bhiri aber nicht in Lebensgefahr.
Der Delegation gehörten den Angaben zufolge drei Vertreter der unabhängigen Instanz zur Vermeidung von Folter und zwei Vertreter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte an. Sie besuchten Bhiri in einem Krankenhaus in der nördlichen Stadt Bizerte. Der 63-Jährige leidet an mehreren chronischen Krankheiten, darunter Diabetes und Bluthochdruck. Nach Angaben seines Arztes muss er eigentlich täglich 16 Tabletten nehmen.
Bhiri war nach Angaben seines Anwalts am Freitag vor seinem Haus in der Hauptstadt Tunis von Männern in Zivil "brutal festgenommen" worden. Sein Verbleib war zunächst unklar. Später bezeichnete das Innenministerium die Festnahme als "Notwendigkeit für die Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit". Die Ennahdha und mit ihr Bhiri hatten in den vergangenen Jahren und bis zur Entmachtung von Regierung und Parlament Ende Juli durch Präsident Kaïs Saïed großen Einfluss auf die tunesische Politik gehabt. Dem Präsidenten werfen die Islamisten einen Putsch vor.
Am Sonntagabend hatten Anhänger der Ennahdha-Partei und Abgeordnete erklärt, Bhiri befinde sich in einem "lebensbedrohlichen Zustand", Medikamente würden ihm vorenthalten. Der Anwalt der Partei kündigte am Montag vor Journalisten an, dass er eine Klage wegen "Entführung" gegen Präsident Saïed einreichen wolle. Bhiris Frau Saida Akremi, die selbst ebenfalls Anwältin ist, berichtete, dass ihr Mann einen "Herzanfall" erlitten habe und ihr ein Besuch verwehrt werde.
Dagegen sagte das Mitglied der Besucherdelegation, der 63-Jährige sei am Sonntagabend "lebendig und klar" gewesen. Er liege in einem Einzelzimmer in der kardiologischen Abteilung des Krankenhauses. Dorthin sei der Ex-Minister am Sonntag gebracht worden, weil er seit Freitag die Essens- und Medikamentenaufnahme verweigere, sagte das Delegationsmitglied, das anonym bleiben wollte.
Die Festnahme von Bhiri ist Ausdruck des Machtkampfes in Tunesien, das lange als Musterland des Arabischen Frühlings galt. Allerdings hat das Land auch mehr als zehn Jahre nach dem demokratischen Wandel nicht zu politischer Stabilität gefunden. Seit dem Sturz von Langzeit-Machthaber Zine El-Abidine Ben Ali gab es zahlreiche Regierungen, von denen sich einige nur Monate an der Macht halten konnten.
Im Juli vergangenen Jahres hatte Präsident Saïed unter Verweis auf Notstandsgesetze die von Ennahda gestützte Regierung und das Parlament entmachtet und im Oktober eine in ihren Vollmachten stark beschnittene neue Regierung eingesetzt. Die Volksvertretung ist weiterhin suspendiert.
Saïeds Machtübernahme wurde anfangs von vielen Tunesiern unterstützt, die wegen anhaltender Blockaden aufgrund der zersplitterten politischen Landschaft des Landes frustriert waren. Gegner des Präsidenten befürchteten hingegen ein erneutes Abrutschen des nordafrikanischen Landes in die Diktatur. Sie bezeichnen das Vorgehen des Staatschefs als Putsch.
(I. Johansson--BTZ)