
Moskau strebt Auflösung von renommierter Menschenrechtsorganisation Memorial an

Russlands renommiertester Menschenrechtsorganisation Memorial droht das endgültige Aus: Wie die Organisation am Donnerstag mitteilte, hat die russische Generalstaatsanwaltschaft beim Obersten Gerichtshof ihre Auflösung beantragt. Ihr werde vorgeworfen, "systematisch" gegen das Gesetz über "Ausländische Agenten" verstoßen zu haben, erklärte Memorial. Laut der Internetseite des Gerichts wurde für den 25. November eine Anhörung angesetzt.
Die größte und älteste Menschenrechtsorganisation, die noch während der Perestroika von Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow und anderen Dissidenten gegründet worden war, sprach von einer "politischen Entscheidung, Memorial zu zerstören". "Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass das Gesetz von Anfang an als Instrument zur Unterdrückung unabhängiger Organisationen gedacht war, und wir haben darauf bestanden, dass es abgeschafft wird", erklärte die Organisation weiter.
Memorial setzt sich seit Jahren für die Aufarbeitung des kommunistischen Terrors sowie für die Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte im heutigen Russland ein. Seit 2016 ist die Nichtregierungsorganisation als "ausländischer Agent" registriert, weil sie teilweise aus dem Ausland finanziert wird. Betroffene Organisationen, Medien oder auch Einzelpersonen sind verpflichtet, ihre Finanzquellen offenzulegen und sich bei allen Veröffentlichungen als gelisteter "ausländischer Agent" zu erkennen zu geben.
Noch im Jahr 2015 hatte der Oberste Gerichtshof einen Antrag des russischen Justizministeriums auf die Auflösung von Memorial abgewiesen. Sollte die Gruppe diesmal tatsächlich aufgelöst werden, "wird Russland endgültig zu einem totalitären Staat", sagte die russische Menschenrechtsaktivistin Soja Swetowa dem Radiosender Moskauer Echo.
Die russischen Behörden haben in den vergangenen Monaten den Druck auf Nichtregierungsorganisationen sowie auf unabhängige und oppositionelle Medien stetig erhöht; die meisten von ihnen sind inzwischen als "ausländische Agenten" eingestuft. Gleichzeitig steigt die Zahl der politischen Gefangenen: Ende Oktober listete Memorial mindestens 420 politische Häftlinge auf, darunter auch den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny. 2015 waren es noch 46.
(P. Hansen--BTZ)