Streit um Rechtsstaatlichkeit bei EU-Gipfel beigelegt
Beim EU-Gipfel ist eine weitere wichtige Streitfrage gelöst worden: Die EU-Staats- und Regierungschefs verabschiedeten am Montagabend einstimmig einen unter deutscher Vermittlung erarbeiteten Änderungsvorschlag zur Frage, wie EU-Gelder künftig bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit gekürzt werden können, wie es aus EU-Kreisen und von Diplomaten hieß. Die Bundesregierung bestätigte unterdessen ungarische Medienberichte über eine angeblich weitgehende Zusage von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban nicht.
Ungarn und Polen stehen wegen der Untergrabung von Werten wie der Pressefreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz seit Jahren in der EU am Pranger. EU-Ratspräsident Charles Michel hatte aber schon im Februar einen Vorschlag der EU-Kommission abgeschwächt, Kürzungen von EU-Geldern zu ermöglichen.
Nach Michels Plan müsste solchen Kürzungen der EU-Rat der Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit zustimmen. Nötig wären dazu 55 Prozent der EU-Länder mit 65 Prozent der Gesamtbevölkerung, was als schwer zu erreichen gilt.
Dies blieb nun auch nach einem Treffen beim EU-Gipfel auf Einladung Deutschlands so. An dem Treffen nahmen neben Polen und Ungarn auch Länder wie Luxemburg und Lettland teil, die stark auf die Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit in der EU pochen. Allerdings wurden weite Teile des Michel-Vorschlags neu gefasst. Was dies in der Praxis konkret bedeutet, blieb zunächst unklar.
In regierungsnahen ungarischen Medien wurde am Montagabend aber bereits von einem "großen Sieg" von Ministerpräsident Viktor Orban gesprochen. Orban habe in den EU-Haushaltsverhandlungen nicht nur "drei Milliarden Euro mehr" bekommen, berichtete die Website Origo.hu. Merkel habe ihm auch die Zusage gegeben, dass das gegen Ungarn laufende EU-Strafverfahren während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bis Jahresende eingestellt werde.
"Ungarn hat sich bereit erklärt, im Artikel-7-Verfahren alle notwendigen Schritte zu tun, damit es im Rat (der Mitgliedstaaten) zu einer Entscheidung kommen kann", erklärte seinerseits Merkels Sprecher Steffen Seibert. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft habe zugesagt, "im Rahmen ihrer Möglichkeiten diesen Prozess voranzubringen".
Aus EU-Kreisen hieß es, Orban habe in der Gipfel-Runde verlangt, die "Erniedrigung" des sogenannten Artikel-7-Verfahrens zu beenden, das bis zum Entzug von Stimmrechten auf europäischer Ebene führen kann. Merkel habe darauf lediglich geantwortet, es sei gut, "mit den Artikel-7-Verfahren weiterzukommen". Mehr habe die Kanzlerin nicht gesagt.
Wegen des Streits um die Rechtsstaatlichkeit hatte Orban vor dem EU-Gipfel gedroht, das gesamte dort verhandelte Finanzpaket von 1,8 Billionen Euro aus dem Corona-Hilfsfonds und dem nächsten Sieben-Jahres-Haushalt der EU per Veto zu verhindern. Er verlangte zudem für eine Zustimmung die Einstellung des Artikel-7-Verfahrens.
Die EU-Kommission hatte das bis dahin beispiellose Verfahren im Dezember 2017 zunächst gegen Polen gestartet. Das Europaparlament löste dann September 2018 ein solches Verfahren auch gegen Ungarn aus. Doch die Hürden für Sanktionen sind hoch. Und ein Stimmrechtsentzug gilt in Brüssel als "Atombombe" im Verhältnis zu Mitgliedstaaten. Die EU-Regierungen unternahmen deshalb keine weiteren Schritte.
Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU verhandeln bei dem Marathon-Gipfel seit Freitag über den Aufbauplan gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sowie den nächsten Gemeinschaftshaushalt. Der Aufbaufonds soll ein Volumen von 750 Milliarden Euro haben. Allerdings verringerte Michel im Zuge der Verhandlungen den Anteil der Zuschüsse aus dem Fonds, die nicht zurückgezahlt werden müssen, auf Druck einer Gruppe von Ländern um die Niederlande und Österreich deutlich.
Ursprünglich waren 500 Milliarden Euro Zuschüsse geplant und 250 Milliarden Euro Kredite. Michel senkte nun den Zuschussanteil auf 390 Milliarden und erhöhte entsprechend den Kreditanteil deutlich auf 360 Milliarden Euro.
(O. Joergensen--BTZ)