Hauptangeklagter in Lübcke-Prozess: Regierungspräsident bei Ermordung wehrlos
Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke ist nach Angaben des Hauptangeklagten bei seiner Ermordung wehrlos gewesen. "Er hatte meiner Meinung nach keine Möglichkeit, aus dieser Situation wegzugehen", sagte Stephan E. am Donnerstag im Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. E. hatte sich zuvor erneut bereit erklärt, Fragen der Hinterbliebenen Lübckes zu beantworten, die im Prozess als Nebenkläger auftreten.
Seiner Schilderung zufolge saß Lübcke zum Tatzeitpunkt auf einem Stuhl auf der Terrasse seines Wohnhauses. Dort hätten er und der Mitangeklagte Markus H. ihn gestellt und dazu aufgefordert, sich nicht zu bewegen. E. sagte, dass er selbst Lübcke in den Stuhl zurückgedrängt habe, als dieser habe aufstehen wollen. Das Letzte, was Lübcke in seinem Leben gesehen habe, sei H. gewesen, antwortete E. auf eine Frage der Witwe Lübckes.
Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel kündigte am Donnerstag an, dass sich die Urteilsverkündung ins kommende Jahr verschieben werde. Grund dafür sei, dass der Hauptangeklagte E. in seinen Antworten auf die Fragen der Familie Lübcke von seinen bisherigen Einlassungen abgewichen sei.
"Für den Senat drängen sich noch sehr viele Fragen auf", sagte Sagebiel. Daher müsse E. erneut grundsätzlich zum Tatverlauf befragt werden. Sagebiel warf E. vor, immer wieder Einlassungen abzugeben, die dem Prozessverlauf angepasst seien.
E. bekräftigte erneut, dass sein zweites Geständnis, in dem er erklärt hatte, dass H. Lübcke im Streit versehentlich erschossen habe, eine Erfindung seines ehemaligen Verteidigers Frank Hannig gewesen sei. Er habe vorgeschlagen, im Geständnis die Rollen zu tauschen, um eine Aussage H.s zu provozieren.
Der Senat verlas am 35. Verhandlungstag Auszüge aus den Akten Hannigs, die am Mittwoch beschlagnahmt worden waren. Dabei handelte es sich um Notizen über E. und seine Aussagen. Dazu wurden Anmerkungen vorgelesen wie "Der soll belehrt werden, dass wir nix dafür können, wenn er Scheiße erzählt" und "Der verarscht uns".
Wem die Handschrift gehöre, sei unklar, sagte Sagebiel. Die sogenannte Handakte sei manipulierbar und habe daher einen geringeren Beweiswert. Zudem sei der überwiegende Teil der Notizen nicht datiert, was eine Einordnung erschwere.
Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni 2019 tot auf seiner Terrasse im nordhessischen Wolfhagen-Istha gefunden worden. E. soll ihn aus rechtsextremen Motiven getötet haben. Darüber hinaus ist er wegen eines versuchten Mordes an einem irakischen Flüchtling angeklagt.
Der Prozess gegen E. und H. begann im Juni. H. wurde im Oktober aus der Untersuchungshaft entlassen, weil der Senat keine hohe Wahrscheinlichkeit mehr für eine Beihilfe gesehen hatte.
(P. Rasmussen--BTZ)