Kritik an Vertagung von Corona-Beschlüssen - Grüne sprechen von "Chaos"
Die Vertagung neuer Corona-Beschlüsse ist bei Lehrern und Amtsärzten auf scharfe Kritik gestoßen. Den Gesundheitsämtern stehe "das Wasser bis zum Hals", sagte die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen, Ute Teichert, am Dienstag. Die Gewerkschaft GEW nannte den Widerstand der Länder gegen Wechselunterricht "verantwortungslos". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drängte auf schnelleres Handeln bei der Pandemiebekämpfung. Die Grünen sprachen von "Chaos" bei den Bund-Länder-Verhandlungen.
Bund und Länder hatten am Montag konkrete Beschlüsse auf die kommende Woche vertagt. Die Bundesregierung hatte weitere Verschärfungen angepeilt, etwa eine allgemeine Maskenpflicht in Schulen sowie das Teilen von Klassen und die Einführung eines Systems des Wechselunterrichts. Außerdem sollten strengere Kontaktbeschränkungen gelten. Die Länder lehnten dies ab und kritisierten den Bund teils scharf.
Merkel sagte dazu am Dienstag auf einer Veranstaltung der "Süddeutschen Zeitung": "Dass es manchmal etwas zu langsam geht, das bedaure ich." Sie fügte mit Blick auf die Länderchefs hinzu: "Manche wollen da noch mehr Klarheit haben." Die Kanzlerin betonte, sie werde "weiterhin der ungeduldige Teil in dieser Sache sein". Es gehe um die "Vorbeugung vor dem Schlimmsten, also der Überlastung unseres Gesundheitssystems".
Das Robert-Koch-Institut (RKI) verzeichnete am Dienstag 14.419 neue Corona-Infektionen. Die Bundesregierung sieht die Dynamik beim Anstieg der Infektionszahlen gebrochen, allerdings sei durch die verschärften Regeln im November noch keine "Trendumkehr" erreicht worden. Merkel sagte, die Eindämmung der Pandemie gelinge nicht so schnell wie erhofft, viele Gesundheitsämter seien an oder über ihrer Belastungsgrenze.
Die Amtsärzte zeigten sich unzufrieden. Sie könne einerseits nachvollziehen, "dass man versucht, mit Appellen weiterzukommen", sagte die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen, Ute Teichert, im WDR. "Aber andererseits steht tatsächlich den Gesundheitsämtern das Wasser bis zum Hals." Es gelinge nicht mehr, die Kontaktpersonen nachzuverfolgen. "Von daher wären einheitliche Beschlüsse für uns sehr hilfreich gewesen."
Die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe, sagte den RND-Zeitungen vom Dienstag: "Es ist völlig unverständlich und sachlich nicht begründet, warum sich die Länder gegen Wechselunterricht wehren, der für die Schülerinnen und Schüler ab der Sekundarstufe I gut umzusetzen ist."
Lehrer-Präsident Hans-Peter Meidinger sagte dem Nachrichtenportal "Watson", die ausbleibende Verschärfung der Corona-Maßnahmen an Schulen seien "völlig unerklärlich und geradezu verantwortungslos". Er warnte: "Das könnte sich noch bitter rächen."
Die Bundesländer verteidigten derweil ihr Vorgehen. Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD) verwies darauf, dass Treffen im privaten Bereich bereits "stark eingeschränkt" seien. Die Anfang November beschlossenen Maßnahmen seien erst seit 14 Tagen in Kraft. Die Politik können "nicht im Wochenrhythmus die Schrauben anziehen", sagte Schwesig im ZDF-"Morgenmagazin".
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte im RBB, es müsse zunächst klar werden, "was die Maßnahmen von vor zwei Wochen gebracht haben". Für das nächste Bund-Länder-Treffen wünsche er sich "Einigkeit", das erhöhe die Akzeptanz der Beschlüsse.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sprach in Berlin von "Chaos" bei den Bund-Länder-Beratungen. Eine der wichtigsten Ressourcen im Kampf gegen die Pandemie sei das Vertrauen der Bürger in die Maßnahmen. Dieses dürfe nicht untergraben werden. Ko-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisierte in der "Rheinischen Post" (Mittwochsausgabe), "dass die Bundesregierung im Vorfeld einer Ministerpräsidentenkonferenz massenweise Einzelforderungen erhebt, die die Bürgerinnen und Bürger verunsichern, und am Ende gar nichts davon beschlossen wird".
(W. Winogradow--BTZ)