EU und Großbritannien stehen nach Brexit erneut vor intensiven Verhandlungen
Keine Atempause nach dem Brexit: Die Emotionen wegen des britischen EU-Austritts am Wochenende schlagen noch hoch, da steht schon die nächste Phase der Scheidung zwischen London und Brüssel an. Bereits am Montag wollen beide Seiten ihre Ziele für die Verhandlungen über ihre künftigen Beziehungen darlegen. Der historische Abschied Großbritanniens aus der EU nach 47 Jahren Mitgliedschaft hatte in der Nacht zum Samstag Jubel und Tränen ausgelöst.
Am Freitag 23.00 Uhr Londoner Zeit - Mitternacht auf dem Kontinent - war es so weit: Als erstes Mitgliedsland in der Geschichte der EU verließ Großbritannien die Staatengemeinschaft. Am Samstag begann dann die Übergangsphase nach dem Brexit: Großbritannien bleibt vorerst noch im Binnenmarkt und in der Zollunion; bis Jahresende müssen Brüssel und London aber ihre künftigen Beziehungen regeln und insbesondere ein Freihandelsabkommen aushandeln.
Die EU-Kommission will am Montag ihren Vorschlag für Inhalte und Ziele der Verhandlungen beschließen. Das dafür nötige Verhandlungsmandat für EU-Unterhändler Michel Barnier sollen die Mitgliedstaaten dann am 25. Februar billigen.
Auch der britische Premierminister Boris Johnson stellt am Montag seine Ideen für ein Kooperationsabkommen vor. Der Regierungschef werde in einer Rede eine harte Verhandlungslinie ankündigen, berichteten britische Medien am Sonntag.
Johnson sei zu "keinerlei Zugeständnissen" bereit, schrieb der "Observer". Er bereite sich auf einen "kompromisslosen Kampf" mit den 27 verbliebenen EU-Staaten vor. Die Botschaft des britischen Premierministers laute "No, Non, Nein", hieß es im "Sunday Express". Johnson werde der EU ein Freihandelsabkommen vorschlagen, das sich am Ceta-Vertrag zwischen der EU und Kanada orientiert oder weniger enge Beziehungen, wie sie die EU mit Australien unterhält.
Nach Angaben aus Regierungskreisen in London ist Johnson bereit, Grenzkontrollen wieder einzuführen, sollten die Verhandlungen über ein Abkommen scheitern.
Der britische Außenminister Dominic Raab will in der kommenden Woche nach Japan und Australien reisen. Mit beiden Ländern wolle er Gespräche über künftige Handelsabkommen führen, kündigte Raab im Sender Sky News an.
Der britische EU-Austritt hatte in der Nacht zum Samstag die Emotionen hochschlagen lassen. Vor dem Londoner Parlament bejubelten tausende Briten den Brexit. Sie schwenkten den Union Jack, sangen die Nationalhymne, ließen Luftballons steigen und fielen sich in die Arme.
Ganz anders war die Stimmung bei den Brexit-Gegnern: Viele hielten Mahnwachen ab und zündeten Kerzen an. Vor dem Brandenburger Tor in Berlin sangen Pro-Europäer um Mitternacht gemeinsam die EU-Hymne "Ode an die Freude".
Schon das Brexit-Votum vom Juni 2016 hatte die tiefe Spaltung der Briten offenbart: 52 Prozent stimmten damals für einen Austritt, 48 Prozent für einen Verbleib in der EU. Es folgten zähe Verhandlungen, doch Johnson boxte den EU-Austritt schließlich durch.
Für die EU ist der Abschied der 66 Millionen Briten ein harter Schlag. Sie verliert ihre zweitgrößte Volkswirtschaft nach Deutschland und wird außen- und sicherheitspolitisch geschwächt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem "tiefen Einschnitt für uns alle", Frankreichs Präsident Emmanuel Macron von einem "historischen Alarmsignal" für ganz Europa.
Im EU-Haushalt werden durch den Austritt des Nettozahlers Großbritannien künftig zwölf Milliarden Euro wegfallen. Die ärmeren EU-Staaten im Osten und Süden Europas forderten am Samstag eine schnelle Einigung auf einen neuen EU-Haushalt, der die Hilfen für die schwächeren Mitgliedsländer unangetastet lässt.
15 der Teilnehmerländer verpflichteten sich in einer gemeinsamen Erklärung, gegen Kürzungen beim Kohäsionsfonds zu kämpfen. Dieser gewährt EU-Ländern Hilfen, deren Pro-Kopf-Bruttonationaleinkommen weniger als 90 Prozent des EU-Durchschnitts beträgt.
Zu den Unterzeichnern zählen Ungarn, Polen, Tschechien, Griechenland und Spanien. "Mehr denn je müssen wir den Zusammenhalt der Europäischen Union bekräftigen, da sie mit dem Ausscheiden Großbritannien jetzt fragiler ist", mahnte der portugiesische Regierungschef Antonio Costa. EU-Ratspräsident Charles Michel hat wegen des anhaltenden Streits über die EU-Finanzplanung für den 20. Februar einen Sondergipfel anberaumt.
(W. Winogradow--BTZ)