Türkei setzt Offensive in Afrin trotz internationaler Appelle fort
Allen Aufrufen zur "Zurückhaltung" zum Trotz hat die Türkei ihre Offensive gegen die syrischen Kurden in Afrin unvermindert fortgesetzt. Während sich die türkische Armee am Dienstag weiter heftige Gefechte mit den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) lieferte, verkündeten die Kurden eine "Generalmobilmachung" zur Verteidigung von Afrin. In der Türkei wurden fast hundert Menschen unter dem Vorwurf der "Terrorpropaganda" festgenommen.
"Wir erklären eine Generalmobilmachung und rufen unser Volk auf, Afrin zu verteidigen", hieß es in der Erklärung des kurdischen Kantons Dschasire in Nordsyrien, der ebenso wie Afrin von der YPG und ihrer Mutterpartei PYD kontrolliert wird. Ein Sprecher sagte, alle Kurden seien aufgerufen, zu den Waffen zu greifen. Freiwillige, die in Afrin kämpfen wollten, würden mit Waffen ausgestattet.
Die Verwaltung des Kantons Dschasire, der von Afrin durch türkisch-kontrollierte Gebiete getrennt ist, rief die internationale Gemeinschaft auf, ihrer "moralischen Verantwortung" gerecht zu werden. Sie drängte zudem den UN-Sicherheitsrat, eine "entschlossene Resolution" zu verabschieden, um die "Aggression der türkischen Regierung" gegen die Kurden in Afrin zu stoppen.
Der UN-Sicherheitsrat hatte am Montag über die türkische Offensive in Afrin und weitere Entwicklungen in Syrien beraten, sich aber nicht zu einer gemeinsamen Erklärung durchringen können. Der französische UN-Botschafter François Delattre sagte im Anschluss lediglich, der "Ruf nach Zurückhaltung" sei in der Diskussion weitgehend geteilt worden.
US-Verteidigungsminister James Mattis drängte Ankara am Dienstag erneut zur "Zurückhaltung beim militärischen Vorgehen und der Rhetorik" und mahnte, die Operation versetze "eine bisher relativ stabile Region Syriens in Unruhe". Auch andere Weltmächte haben die Türkei zur Mäßigung aufgerufen, sind aber nicht gegen die Operation in Afrin eingeschritten.
Für die USA ist die Offensive ihres Nato-Partners Türkei heikel, da sie die YPG als ihren schlagkräftigsten Verbündeten im Kampf gegen die Dschihadisten in Nordsyrien ansehen und mit Waffen sowie Spezialkräften unterstützen. Die Türkei sieht die US-Militärhilfe als verdeckte Unterstützung für die mit der YPG eng verbundene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die auch von Washington als Terrororganisation gelistet ist.
Auch Russland unterhält gute Beziehungen zur YPG, ist aber nicht gegen das türkische Vorgehen in Afrin eingeschritten. Stattdessen zog Moskau seine Militärbeobachter aus der Region ab und überließ den Luftraum türkischen Kampfflugzeugen. Die Türkei betont, ihr Vorgehen sei eng mit Russland abgestimmt.
Die Türkei setzte ihre Angriffe derweil unvermindert fort. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete auch am vierten Tag der Operation "Olivenzweig" heftige Kämpfe im Norden und Südwesten der Region. Im Nordosten Afrins fiel der strategisch wichtige Hügel Barsaja, den protürkische Rebellen am Montag erobert hatten, wieder an YPG-Einheiten zurück.
Nach Angaben der oppositionsnahen Beobachtungsstelle wurden seit Samstag mehr als 80 kurdische Kämpfer und protürkische Rebellen getötet. Laut den für Medien kaum überprüfbaren Angaben der Organisation, die sich auf ein Netz aus Aktivisten in Syrien stützt, gab es auch 24 zivile Opfer bei türkischen Angriffen.
Die Türkei weist Berichte über zivile Opfer als "Propaganda" zurück und versichert, ausschließlich "Terroristen" ins Visier zu nehmen. Prokurdische Proteste in der Türkei werden gewaltsam unterdrückt, Kritik in den sozialen Medien wird verfolgt. Auch am Dienstag nahmen die türkischen Behörden bei Razzien 91 Verdächtige unter dem Vorwurf der "Terrorpropaganda" fest.
In Ankara wurde unterdessen der erste türkische Soldat beigesetzt, der bei der Operation getötet worden war. Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte bei dem Staatsbegräbnis für den 30-jährigen Unteroffizier, die türkischen Streitkräfte würden am Ende siegen. Derweil wurde laut der Armee in Afrin ein zweiter Soldat getötet.
(S. Soerensen--BTZ)